Programm

1. Platz - Lisa Brenner: Mensch

Mensch
Viele sagen, Einige bemerken,
Fernseher berichtet, Zeitungen bestärken,
Diskussionen über, Politik verspricht,
Homeofficetisch, Kein Unterricht,
Niemanden treffen, Internet bestellen,
Gesetze erlassen, Entscheidungen fällen,
Die Frage: Wie lange? Ungewissheit,
Todeszahlenjonglage, Wissenschaftsstreit,
Diesel eins drei, Angst in den Augen,
Tageschau um acht, Klopapier kaufen,
mit Karte bezahlen, durch Glasscheiben sehen,
Mundschutzluft atmen, Atemschutz nähen ,
Tag einundfünfzig, Ellbogengruß,
Virus unter Kontrolle, Robert-Koch-Institut,
Maßnahmen folgen, Maßnahmen brechen,
Und die Frage: Wie lange? Unsichtbares Lächeln,
Desinfektionsmittelduft, Abi verschieben,
ohne Körperkontakt, keine Flugzeuge fliegen,
Himmel wird blau, Merkel und Spahn,
Nachbarschaftshilfe, Fischmarkt Wuhan,
Videokonferenzen, Wir bleiben Zuhause,
Und die Frage: Wie lange? Beschleunigungspause.
Und wir wollen so gerne,
und wir wollen so viel.
Alle Menschen zu retten,
das ist unser Ziel.
Und wir sitzen um 8,
wie immer beim Fernsehen,
und wir nicken und warten,
und geben an, zu verstehen.
Niemand will aufstehen,
niemand will Schuld,
also kaufen wir Mehl,
und üben Geduld.
Und jede Woche die Frage:
Wie lang geht das noch weiter?
Und wir nicken und warten,
sollen doch andere scheitern.
Aber ich frag mich ehrlich,
darf ich noch Mensch sein?
Oder wird das gefährlich?
Denn das geht nicht allein.
Denn wer bin ich,
wenn ich niemanden erleb‘,
der oder die,
in Relation zu mir steht?
Und ich geb‘ es jetzt zu,
ich bin menschlich,
nehm‘ die Maske ab,
und geb mich erkenntlich,
und ich geb‘ es jetzt zu,
- endlich -
nur andere Menschen
machen mich menschlich.
Und ich geb‘ es jetzt zu,
ich zeig mich verletzlich,
wenn ich sag, ich brauch Nähe,
denn Nähe ist menschlich.
Und ich geb‘ es jetzt zu,
Freiheit war nie umsonst
unser wichtigstes Gut.
Schon so lang wollen wir
zu Maschinen werden,
perfekt nahtlos getaktet,
berechnend, ohne Beschwerden.
Und stattdessen wird die
Maschine zum Menschen,
gefühlvoll, echt und selbstständig,
kreative Intelligenzen.
Doch ich will Mensch sein,
aber das kann ich nicht allein,
das kann keiner von uns
in Einsamkeit.
Und ich geb‘ es jetzt zu,
ich bin menschlich,
nehm‘ die Maske ab,
und geb mich erkenntlich,
und ich geb‘ es jetzt zu,
- endlich -
manche Dinge,
die machen mich menschlich.
Freunde, zum in die Augen schauen,
Meinungsfreiheit, Leben vertrauen,
Frühlingsluft, Gemeinsam lachen,
Zu fünft im Auto, Fehler machen,
Baumhäuser bauen, Nachbarschaftstreffen,
Spontan nach Italien, zu viel Pizza essen,
ne ganze Nacht Tanzen, zusammen schwitzen,
total verkatert im Zug nach Budapest sitzen,
Körper bewundern, Körper berühren,
Wärme und Herzschlag von anderen spüren,
Erwartung, Enttäuschung, Pläne gestalten,
Meinungen ändern, zusammenhalten,
um andere kümmern, selbstständig denken,
Handy vergessen, Freude verschenken,
freie Entscheidung, Empathie und Kritik,
ich würd‘ gern‘ Mensch sein,
und du, machst du mit?