Programm

2. Platz - Lena Praßler: Der Anfang vom Ende

13.03.2020 13:00 Tag 1 - Der Anfang vom Ende
Freitag, der 13.
Eigentlich gibt es seit vielen Jahren 13. Freitage und es ist nie was passiert. (Aber wie ein weiser Mann einst sagte: „Sag niemals nie!“).
Dieser Freitag sollte in die Geschichte eingehen als „Der Anfang vom Ende“ oder politisch korrekt auch Home-Schooling genannt. Man ist gespannt wie es genau weiter geht. Es steht die Frage im Raum, wie nötig diese Maßnahme ist. Noch werden die Coronaferien belächelt und gefeiert. Wie falsch wir zu dem Zeitpunkt lagen, war uns allen nicht im Geringsten bewusst. Hätte ich gewusst, dass ich meine Freundin nicht so schnell wiedersehen würde, hätte ich sie nie wieder losgelassen.
Protokoll: Stimmung: entspannt und euphorisiert. Klopapier: 10 Rollen, Nudeln: 2 kg.


14.03.2020 13:00 Tag 2 - Das Grauen lässt auf sich warten
Die ersten vierundzwanzig Stunden habe ich ohne jegliche Vorfälle überlebt. Ich gebe zu, so schlimm ist die ganze Situation nicht. Aber trotzdem schreibe ich dieses Tagebuch, damit (falls wir doch alle sterben sollten) das Leben aus dem All versteht (vorausgesetzt es schafft es unsere Sprache zu lesen), was uns zugestoßen ist.  
Kurz zu mir: Ich bin eine 17-jähriges Mädchen, Nachwuchskrisengebietsautorin, Schauspielerin und erfahrene Kampfsportlerin (also wenn man Profi in Fruitninja dazuzählt). Falls es wirklich zu einer Zombieapokalypse kommen sollte, bin ich entweder bei meinem Glück das erste Opfer (hoffen wir mal nicht) oder die letzte Überlebende. Genug Gedanken gemacht. Ich werde jetzt meine letzten Züge in Freiheit genießen.
Protokoll: Stimmung: abenteuerlustig. Klopapier: 9 Rollen, Nudeln: 1 kg (dafür genügend Reis)


16.03.2020 21:00 Tag 4 - Zwischenstand
Man muss sagen, noch geht es. Strom läuft, Wasser läuft. Hab meine Nachbarn alle nochmal gesehen. Man hat das Gefühl, dass das Virus noch soweit weg ist. Aber doch auch nah: Man bedenke, dass der erste Fall direkt aus der Gegend kann. Eigentlich tun ein paar Tage ohne Schule einem doch ganz gut. (Im Nachhinein war mir und ganz vielen anderen Menschen damals der Ernst der Lage gar nicht bewusst.)
Protokoll: Stimmung: leicht nachdenklich. Klopapier: 5 Rollen, Nudeln: 0 kg, Reis: 3 kg


19.03.2020 22:00 Tag 7 - Ellenbogen raus im Supermarkt
Hinter uns liegen ereignisreiche Tage und vor uns eine harte Woche.
Der Reihe nach: Mittlerweile erreichen uns immer mehr schlimme Bilder aus den echten Krisengebieten. Nun habe ich es ernsthaft verstanden, wie schlimm es um uns steht, wenn wir nicht zusammen alle bald handeln. Mit Handeln war aber nicht der übermäßige Kauf von italienischen Teigwaren gemeint. Aus den Reihen der Intelligenz-Elite wurde die These in den Raum gestellt, dass Corona auch die Gehirnmaße einiger Mitbürger angreift, die das daraus enstandene Vakuum mit Klopapier und Nudeln ausfüllen wollen. Verständlicherweise sollte man genügend Lebensmittel für einige Tage (leicht zu verwechseln mit dem Wort „Jahre“) haben. Es ist jedoch von sämtlichen Hamsterkäufen abzuraten. Mal im Ernst: Es gibt so viele Menschen auch in Deutschland, die sich es nicht leisten können auf Vorrat zu kaufen und jetzt oft vor leeren Regalen stehen. Den meisten von uns geht es doch gut. Woher kommt dann der ganze Hass?
Protokoll: Stimmung: sauer auf Hamsterkäufer. Klopapier: 2 Rollen ,Nudeln: 2 kg, Reis: 1 kg


20.04.2020 11:30 Tag 8 - News
Neeeeeeein! Es ist soweit! Wir treten unsere Isolation an! (offiziell: Ausgangsbeschränkung).  Mir fällt jetzt schon die Decke auf den Kopf. Einatmen – Ausatmen, es ist nur das Beste für uns…
Protokoll: Stimmung: erdrückend. Klopapier: zu wenig, Nudeln: genügend


21.04.2020 18:59 Tag 9 - Challenge accepted
Wir, meine tapferen Kameraden, und ich stellen uns dem Endgegner, der Langeweile. Wir haben uns einer Gruppe tollkühner Helden angeschlossen und bestreiten jeden Tag eine kreative Aufgabe. Der Feind wird uns nicht lange standhalten können.
Protokoll: Stimmung: Kampfgeist ist erwacht. Klopapier: 9 Rollen ????, Nudeln: 2 kg


23.04.2020 23:59  Tag 11 - Abgabeschluss
Hausaufgaben gerade rechtzeitig abgegeben!
Bei unserem Lehrerkollegium gibt es erste Anzeichen von Zombienismus. Auch wenn wir gerade alle zuhause sind und nicht raus dürfen hat, der Tag immer noch „nur“ vierundzwanzig Stunden! Die Server sind überlastet und wir sind es auch. Man soll sich weniger effektiv mehr Dinge mit Anleitung selbst beibringen. Die Logik ist den Auslöser für Corona suchen gegangen. Vielleicht ist es aber auch nur ein Trick, uns alle auch zu Zombies zu machen und die Apokalypse zu starten
Protokoll: Stimmung: gestresst. Klopapier: 6 Rollen, Nudeln: 200 g


27.04.2020 20:15 Tag 15 - #stayathome
Solange mein Lieblings-TV-Format noch läuft, ist die Welt noch nicht untergegangen.
Das Internet bringt uns neue Möglichkeiten. Dies ist jedem klar. Es bringt uns aber auch mehr Kanäle, um Hass zu verbreiten. Ich möchte der Nachwelt bewusst machen, dass unsere aktuelle Spezies auch sehr Hass erfüllt sein kann. Man muss sich nur eine von den vielen Social Media-Plattformen anschauen. Die Leute haben anscheinend zu viel Freizeit und nutzen diese leider nicht sinnvoll. Jeder wird wegen jeder Kleinlichkeit kritisiert und dazu muss jeder seinen Senf dazu geben.
Wo ist die Liebe hin? Diese ist auf jeden Fall nicht mit dem Coronavirus gegangen. Sie hat davor zwar an vielen Stellen gefehlt, aber noch ist Hoffnung da, dass sich das mit der Pandemie ändert.
Protokoll: Stimmung: traurig Klopapier: 3 Rollen (diente auch als Taschentuch), Nudeln: 1,25 kg


01.04.2020 00:01 Tag 20 - April, April
Noch ist die Hoffnung nicht gestorben, dass das alles nur ein dummer Aprilscherz war/ist. Langsam ist die Theorie mit der Apokalypse auch nicht mehr so abwegig. Die Stimmung ist jedenfalls oft dem „Tag des jüngsten Gerichts“ nahe. Ich habe zur Vorbereitung weiter Ninja Fruits gespielt und auch noch den ein oder anderen Zombiefilm gesehen. Ich bin bereit!
Protokoll: kampfbereit. Klopapier: 5 Rollen, Elektroschocker: 2, Lichtschwerter: 5, für Nudeln hat das Geld nicht mehr gereicht


08.04.2020 12:00 Tag 28 - Happy Birthday
Noch tut sich nichts im feindlichen Lager. Sie warten bestimmt nur, bis wir einmal unvorsichtig sind.
 Ein „Happy Birthday!“ geht an alle Geburtstagskinder raus. Irgendwie hat jeden Tag wer anderes Geburtstag. Ihr wisst, was das heißt? Wir feiern nach Corona ganz viele am Stück! Die Frage ist nur, ob es ein „nach dem Corona“ gibt? Wer hätte am Anfang dieses Jahres gedacht, dass wir über einen Monat außerplanmäßig nicht zur Schule gehen werden. Für mich ist gerade ein Leben ohne Corona gar nicht mehr vorstellbar.
Protokoll: Stimmung: auf der Lauer vor dem Feind.   Klopapier: 8 Rollen, Ausrüstung aufgestockt


14.04.2020 ??:?? Tag 34 - Lebenszeichen
Die Haut wird immer blasser, die Augen werden immer viereckiger.
Auf den Straßen ist mehr denn je los. Ich wohne in einem Kuhkaff, fernab der Hauptstraße und überlege, bald die Maut einzuführen, für meine Straße. So viele Leute sind noch nie so oft spazieren gegangen.
Die politische Lage hat sich noch nicht großartig verändert. Meine Kameraden sehe ich immer nur in kleinen Puzzleteilen (Netz ist überlastet!). Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, ob dass das da draußen echte Menschen sind oder doch wie eine Fata Morgana so fern und doch so nah. Von den Nachrichten meiner Mitstreiter weiß ich, dass wir mittlerweile alle in diesem Trott sind, wo das Hirn ganz matsche ist. Man weiß, weder welcher Tag noch welche Zeit es ist. Erste Symptome vom Zombienismus?
Protokoll: Stimmung: leicht am Verzweifeln. Klopapier: ich glaube, 4, Nudeln: was ist das?


20.04.2020 11:11 Tag 40 - Es bewegt sich was
In den letzten Tagen haben sich die Ereignisse nur so überschlagen. Wir müssen weiterkämpfen (Befehl von ganz oben).
Hurra, wir dürfen wieder in die Schule (dass dieser Satz aus meinen Mund mal kam!)! Leider zu früh gefreut, denn die Regelungen sind absolut s*****e. Ich als angehende Abiduriendin (wie der Frange so schee sagd) habe keine Chance auf ein sinnvolles Abitur. Dass der Online-Unterricht mit Lehrern, bei denen das Durchschnittsalter bei 62 Jahren liegt, mit einem überlasteten Internet – naja - nicht ganz so viel bringt, sollte doch einleuchtend sein. (von wegen Schule besuchen: wir dürfen nämlich nur zu Mathe und Deutsch in die Schule kommen und sonst gar nicht). Aber es soll ja alles gerecht zu gehen …
Protokoll: Stimmung: Ironie mit einem Hau von Sarkasmus. Klopapier: 23 Rollen, Nudeln: 25 kg


24.04.2020 23:24 Tag 44 - In 8 Monaten ist Weihnachten
Schnapszahl.(Mir ist echt nach Alkohol zu Mute).
Hier spricht eine zu tiefst depressive Schülerin, der sämtliche Pläne und Freude für nach dem Abi geraubt worden sind. Jetzt heißt es, Krone richten und weiter machen. Aber falls mich irgendjemand bedeutungsvolles aus dem Universum hört: Ich wäre so glücklich, wenn ich irgendwie eine Abifeier haben könnte.
Protokoll: Stimmung: zu tiefst depressiv. Klopapier und Nudeln: es ist alles egal.

27.04.2020 12:34 Tag 47 - Tag der Abrechnung
Es ist so weit. Der Virus hat die Gewalt über die leitenden Persönlichkeiten unsere Zeit. Es herrscht ein Ausnahmzustand; es gibt weder Strom noch Wasser. Aber keine Sorge Klopapier ist genügend vorhanden. Alle, für die es nicht zu spät ist, sollen sich in ihre Keller verschanzen und mit keinem Fremden Kontakt haben. Mittlerweile sind 78% der Bevölkerung von dem Virus befallen und mutiert.
Protokoll: Stimmung: überrascht, aber vorbereitet. Klopapier: 5 Rollen, Nudeln: 4 kg


30.04.2020 20:50 Tag 50 - Nicht viel Zeit
Mit jeder Stunde sinkt die Chance zu überleben. Noch schlag ich mich wacker.
Falls ihr nichts mehr von mir hören solltet, wisst ihr, wie es um mich geschehen ist.
Ich hoffe, dass diese Niederschrift eines Tages gefunden wird – in einer Zeit, in der es unbeliebt ist, Hass zu verbreiten, in der jeder genügend zu essen hat und mit dem zufrieden ist, was er hat - in einer Zeit, in der die Welt endlich mal gerecht ist.
Protokoll: Stimmung: Im Überlebensmodus. Klopapier: 0 Nudeln:0kg