Programm

4. Platz - Aileen Berghofer: Wenn alltägliches nicht mehr Alltag ist

Wenn alltägliches nicht mehr Alltag ist
Der erste Schultag nach dem großen Lock-Down. Irgendwie ein eigenartiges Gefühl. Nach vier Wochen Home-Schooling endlich wieder in die Schule zu dürfen. Schon das gewohnte Busfahren am Morgen fühlt sich seltsam und ungewohnt an. Erschreckend wie schnell alltägliche Dinge zu Besonderheiten werden können. Das Gefühl, die Maske tragen zu müssen, ist auf der einen Seite befremdlich und ich fühle mich eingeengt, auf der anderen Seite wird mir dadurch ein Stück Lebensqualität genommen, da ich nicht wie sonst üblich meinen Klassenkameraden ein Lächeln schenken und somit auch keines zurückbekommen kann. Auf der Busfahrt nehme ich nicht sehr viel wahr, nur den Geruch von meinem eigenen Atem kann ich riechen. Ich höre kein lautes Geschrei oder Kinderlachen über das ich mich normalerweise immer innerlich beschwere, aber jetzt wo es still ist, fehlt es mir. Sie macht mir Angst diese Totenstille. Als wir ins Nachbardorf kommen und ich den roten Container am rechten Straßenrand sehe, merke ich, dass ich seit sechs Wochen nichts anderes gesehen habe als meine eigene Wohngegend. Mit diesem Hintergrundwissen, jetzt dort wieder vorbeifahren zu können, breitet sich für den Rest der Fahrt ein kleines aber bedeutsames Gefühl der Freiheit in mir aus. Für den Rest der Fahrt kann ich mich jetzt auf meine Musik konzentrieren, die laut durch meine Kopfhörer dröhnt und mir ein Gefühl von Normalität gibt. Angekommen an der Schule wird mir das Gefühl aber sofort genommen, da schon bevor der Bus zum stehen kommt, zwei mit Masken vermummte Lehrer auf uns zustürmen und uns mit erhobenem Zeigefinger versuchen deutlich zu machen, die Masken erst im Klassenzimmer abzunehmen. Diese Situation erscheint mir so surreal und verschreckt mich auch innerlich. Durch diese seltsame aber trotzdem reale Situation werde ich von einer ganz anderen Seite mit dem Ausmaß dieser Krankheit konfrontiert. Der Gedanke daran treibt mir Tränen in die Augen. Auf dem Weg zum Klassenzimmer muss ich kurz innehalten und mich umschauen. Ich versuche den Geschmack von alltäglicher Normalität zu bekommen, während ich die Stühle und Tische, die als Abtrennungen dienen sollen und inmitten der Aula stehen, anstarre. Ein eiskalter Schauer durchdringt mich und mir wird plötzlich ganz kalt. Diese Selbstverständlichkeit, jeden Tag ohne Bedenken die Schule zu betreten, die wir immer haben konnten, scheint so fern. Nach diesem kurzen Moment laufe ich weiter zum Klassenzimmer, setze mich an meinen Platz und kann endlich meine Maske abnehmen. Der gewohnte Geruch vom Klassenzimmer steigt mir in die Nase und es beruhigt mich sehr, wenigstens etwas von einem sonst normalen Schultag zurückzubekommen. Der Rest des Schultags verläuft ohne besondere Vorkommnisse, auch wenn die Pausen zwar den Unterricht pausieren, jedoch nicht die Konfrontation mit der Pandemie. Wir sind gezwungen genug Sicherheitsabstand zu halten und es fällt schwer, Gespräche zu führen ohne sich anschreien zu müssen. Nach dem Schulgong verlasse ich schnell das Schulhaus und steige ins Auto. Auf dem Rückweg versuche ich, die Eindrücke des heutigen Tages zu verarbeiten, vor allem das Bewusstsein, dass auch alltägliche Dinge unglaublich schnell nicht mehr als selbstverständlich gelten können.